Monday 28. May 2018

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Sommerdiskurs 2009 der Universität Wien am Wolfgangsee

Dr. Julia Jungwirth

 

 

Bereits zum zweiten Mal fand der Sommerdiskurs der Sommerhochschule der Universität Wien, dieses Jahr unter dem Motto „Polis und Techne – Zur Steuerung von Systemwandel“, vom 6. – 8. August vor der charmanten Kulisse des Wolfgangsees statt. Univ.-Prof. Dr. Franz-Stefan Meissel, der Initiator und Organisator der Tagung, konnte wieder zahlreiche renommierte Vertreter aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen für einen fächerübergreifenden Austausch gewinnen. In – für die jeweilige anschließende Podiumsdiskussion Impuls gebenden – Vorträgen wurden Problemstellung und Lösungsansätze vorgestellt. Referenten der Veranstaltung waren: der Dekan der Fakultät für Geowissenschaften der Universität Wien und Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie für Wissenschaften Univ.-Prof. Dr. Heinz Fassmann; der Arbeits- und Sozialrechtler Univ.-Prof. Dr. Robert Rebhahn; der ICT-Jurist Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgó; der international renommierte Klima- und Energieforscher Univ.-Prof. Dr. Arnulf Grübler sowie die an der Universität Wien Methoden der Sozialforschung lehrende Politikwissenschafterin Univ.-Prof. Dr. Sylvia Kritzinger.

 

Am ersten Tag der Veranstaltung wurde das Publikum auf einem „nicht so glatten Parkett wie in Wien“ von Fassmann in den Themenbereich „Probleme der Raumordnung in Österreich – Vorschläge für eine Neuorganisation“ eingeführt. Dabei wurden Strukturprobleme – vor allem eine gewisse „föderale Unübersichtlichkeit“ und „mangelnde Koordination von übergreifenden Planungszielen“ – herausgearbeitet und anschließend im Plenum diskutiert. Univ.-Prof. Dr. Georg Lienbacher, der Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, machte dabei auch auf Probleme im Vollziehungsbereich aufmerksam, während er das föderalistische Prinzip persönlich vehement verteidigte. Mag. Markus Seidl strich als Geschäftsführer der Österreichischen Raumordnungskonferenz die Komplexität der Materie heraus: Zielkonflikte würden das Problem der Effektivität ebenso erschweren wie die Tatsache, dass viele Steuerungsmechanismen von außen auf die Raumordnung wirkten. Raum-Forschung sollte daher verstärkt betrieben werden und – ausgehend von Analysen des Ist-Zustandes – längerfristiges und aufeinander abgestimmtes Planen ermöglichen. Dr. Astrid Kratschmann, Prokuristin der sBausparkasse berichtete von ihren Erfahrungen im Wohnbaufinanzierungsbereich. Sie bemängelte dabei terminologische Unterschiede bei den verschiedenen legistischen Aktivitäten der Gebietskörperschaften, da dadurch zB Statistiken mangels Einheitlichkeit nutzlos und für praktische Planung ungeeignet würden. Der Bürgermeister von St. Wolfgang und Bundesrat Johann Peinsteiner rundete die Diskussion mit seinen reichhaltigen Erfahrungen in der kommunalen und regionalen Raumordnungspolitik ab. Institutionalisierte Planungsverbände und die verstärkte Kooperation der Raumordnung mit anderen Fachbereichen (zB Naturschutz) kann als Grundkonsensus dieser spannenden Podiumsdiskussion ausgemacht werden.

 

Ähnliche strukturelle Probleme einer globalisierten Welt zeichneten sich beim Thema „Transformationen der Energiesysteme im Lichte des Klimawandels“ ab. Der an der Yale University lehrende Arnulf Grübler zeigte – anhand rezenter Studien des Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) – ein erschreckendes Bild der globalen Klimasituation auf: Entgegen anderslautenden öffentlichen Diskussionen sei der Klimawandel nachweislich nicht mehr aufzuhalten und anthropogen. Das Ziel der Europäischen Union, den Wandel auf 2 Grad Celsius einzudämmen, erscheint aus Sicht des Experten mehr als ambitioniert, müssten doch dafür bis spätestens 2080 weltweit die CO-2 Emissionen auf 0 % (!) reduziert werden. Ob und inwiefern der politische Wille zu einem Systemwandel dieser Größenordnung weltweit vorhanden ist, wird sich bei der Kyoto-Nachfolgekonferenz im Dezember dieses Jahres in Kopenhagen zeigen. Grübler machte jedenfalls deutlich, dass wir „schleunigst den Bereich der reinen Klimapolitik verlassen“ und gemeinsam mit der Ökonomie und anderen Einzeldisziplinen neue umsetzbare Strategien erarbeiten müssten.

 

Am zweiten Tag der Tagung stellte Robert Rebhahn den „Wandel im Gesundheitssystem – ideal und real“ dem Publikum als komplexe Materie vor. Mangels objektiver, umfassender Daten im Bereich „Gesundheitswesen“ (Stichwort Qualitätsberichte) sei eine seriöse Einschätzung des Öffentlichen Gesundheitssystems in Österreich kaum möglich. Intransparenz der Zahlungs- und Planungsebenen führen dabei zu weiteren Schwierigkeiten und konterkarieren eine klare längerfristige Planung. Ausgehend von einem solidarischen Finanzierungssystem proklamiert Rebhahn als Innovationsmodell den Grundsatz der „Trennung von Zahlern und Leistungsanbietern“. Während er den Wettbewerb im Sinne einer Risikoselektion auf der Finanzierungsseite ablehnt, spricht er sich für eine freiere Marksituation seitens der Leistungsanbieter aus. In der anschließenden Podiumsdiskussion waren einschlägige Experten aus verschiedenen Bereichen der Gesundheitsbranche vertreten: Dr. Helmut Ivansits (Leiter der Abteilung Sozialversicherungen der Arbeiterkammer Wien), Dr. Jan Oliver Huber (Generalsekretär von Pharmig, dem Verband der Pharmaindustrie Österreichs) und Dr. Martin Gleitsmann, Abteilungsleiter für Sozialpolitik und Gesundheit in der WKO, diskutierten dabei – nicht ohne ihre spezifische Interessenslage in den Vordergrund zu rücken – über den Reformbedarf im Gesundheitswesen. Dabei war eine bessere Aufklärung des Patienten (Stichwort „Patienteninformationsportale im Internet“) ebenso Thema wie Einsparungsmöglichkeiten durch strukturelle Verbesserungen sowie durch verstärkten Wettbewerb auf der Anbieterseite.

 

Mit dem Vortrag „Einatmen. Ausatmen. Vom Schutz der Intimität im elektrischen Zeitalter“ schloss Nikolaus Forgó thematisch an das Thema des Vormittags an: Anhand der sogenannten elektronischen Gesundheitskarte führte Forgó dem Publikum mit den dramaturgischen Fertigkeiten eines gelernten Drehbuchautors vor, was es bedeutet, wenn Technik und Recht im Bereich des Internets (noch?) nicht zusammen zubringen sind. Die – legislativ bereits 2005 festgemachte, jedoch praktisch bis dato noch nicht umgesetzte – Einführung von ELGA (des elektronischen Gesundheitsakts für jeden Patienten) fand unabhängig von einer notwendigen Diskussion über datenschutzrechtliche Konzepte und deren juristischer Umsetzung statt. Vielmehr bleiben immer noch ganz grundsätzliche Fragen, wie die Ausfüllung des Begriffes der „personenbezogene Daten“, weiterhin unklar. Forgó machte überdies deutlich, dass diese (ohne rechtliche Rahmenbedingungen zu erwartenden) Informationsasymmetrien im Sinne eines „Markets for Lemons“ dazu führe, dass immer mehr schlechte Qualität am Markt bleibe. Die technische Komplexität schaffe dabei ein Recht ohne Juristen. Außerdem kritisierte Forgó fehlende rechtswissenschaftliche und gesamtgesellschaftliche Begleitung der Materie „Internet“ und führe neben mangelnder Transparenz zu weiteren – aus heutiger Sicht vielleicht gar nicht abschätzbaren - gesellschaftspolitischen Problembereichen. Datenschutz werde immer noch (bzw immer mehr?) als Störfaktor in einer Welt der technischen Innovation und demokratischer Informationszugänge wahrgenommen. Der vielfach Augen öffnende Fingerzeig eines unangepassten IT-Juristen führte auch in der Diskussion zu grundsätzlichen Fragen über Reglementierungsbedarf und Grundrechten im Internet.

 

Abgerundet wurde der Sommerdiskurs 2009 am letzten Tag von Sylvia Kritzinger mit ihrem Vortrag zu „Innovation und Governance: der Einfluss von Interessen“. Sie versuchte mit ihrem theoretischen Modell einen politikwissenschaftlichen Bogen über Steuerungsmechanismen zu spannen. Policy Modi – als Begriff der Politikwissenschaft, der die unterschiedliche Ausgestaltung von Steuerungsinstrumenten bezeichnet – können und werden bereits von vornherein von den Interessen der Akteuren gesteuert und unterscheiden sich je nach den Interessen der Akteure einerseits und den verfahrenstechnischen Strukturen im Governance-Prozess andererseits. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Rektor der Universität Wien, Univ.-Prof. Dr. Georg Winckler und Dr. Michael Stampfer, dem Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds, wurden diese theoretisch vorgestellten Aspekte anhand universitätspolitischer Steuerungsprozesse und im Lichte der Geschichte der Forschungsförderung in Österreich seit 1945 aus praktischer Sicht deutlich.

 

Der Sommerdiskurs war von spürbarem Diskussions- und Interaktionsinteresse getragen und kann als große Bereicherung für alle Teilnehmer und deren spezifisches Fachgebiet verbucht werden. Als wichtiger Schritt in Richtung notwendiger Vernetzung der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wurde damit dem Generalthema „Steuerung von Systemwandel“ Rechnung getragen. Brisanten aktuellen gesellschaftspolitischen Themen wurde dabei im offenen Diskurs mit ehrlicher Auseinandersetzung begegnet. Dabei wurde deutlich, dass die Naturwissenschaften bzw. die Technik einerseits und deren Steuerung bzw. legistische Reglementierung andererseits gegenwärtig als zwei getrennte Blöcke nebeneinander stehen. Einigkeit herrschte – sozusagen als roter Faden des Sommerdiskurses 2009 - dahingehend, dass in futuro gerichtete Planungsziele in allen Einzeldisziplinen diese Trennung überwinden müssten und dabei nicht Halt bei fachspezifischen und nationalen Grenzen machen dürften. Da Problemlösungsansätze unserer globalisierten Gesellschaft immer auch von Variablen beeinflusst sind, die aus ursprünglich anderen Fachgebieten stammen, erscheint eine stärkere Vernetzung und Kooperation auf politischer, aber auch auf wissenschaftlicher Ebene dringend geboten.

 

Die Aspekte „Interdisziplinarität“, „Internationalität“ und das Andenken „neuer Wege bei der Erarbeitung aktueller Themenbereiche“ die Rektor Winckler bei der heurigen 60-Jahr-Feier der Sommerhochschule als deren besonderes Zukunftspotential hervorstrich konnten in den offenen und modernen Diskussionen des Sommerdiskurses als Markenzeichen der Veranstaltung ausgemacht werden.

 

Als Generalthema des für Anfang August 2010 geplanten dritten Sommerdiskurses nannte Initiator Meissel „Komplexität und Verantwortung“.

 

 

Dr. Julia Jungwirth

Teilnehmerin des Sommerdiskurses 2009

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