Monday 28. May 2018

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Bericht 2009 Mendel

Sommerdiskurs aus Wirtschaft, Recht und Kultur 2009 in Strobl am Wolfgangsee

Mag. Heidemarie Mendel

 

 

Der in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindende Sommerdiskurs der Universität Wien aus Wirtschaft, Recht und Kultur 2009 befasste sich mit dem Thema „Polis und Techne – Zur Steuerung von Systemwandel“. Ausgewiesene Experten und maßgebliche Führungskräfte sprachen zu hochaktuellen Themen wie Raumordnung, Energiepolitik, Gesundheitssystem und Datenschutz. Die anschließenden Diskussionen gestalteten sich dank der hochkarätigen und interessierten Teilnehmer als überaus erkenntnis- und gewinnbringend.

 

Den ersten Vortrag hielt Univ.-Prof. Dr. Heinz Fassmann, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Vorsitzender der Integrationsplattform der Republik Österreich, Professor für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung an der Universität Wien, Dekan der Fakultät für Geowissenschaften zum Thema „Probleme der Raumordnung in Österreich – Vorschläge für eine Neuorganisation“.

Er stellte fest, dass die Kompetenzverteilung in Fragen der Raumplanung, die zwischen dem Bund, den Ländern, der Gemeinde und der Europäischen Union aufgeteilt ist, viele Unklarheiten und damit Konflikte mit sich bringt. Nach Fassmann solle die österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) mit eindeutigen Kompetenzen ausgestattet werden. Als wichtig in diesem Zusammenhang erachtet Fassmann weiters die terminologische Vereinheitlichung, die zur Vereinfachung und besseren Auseinandersetzung mit den verschiedenen Raumordnungsmaterien führen würde.

Die anschließende Podiumsdiskussion brachte weitere interessante Facetten zum Thema der Raumordnung zu Tage. So merkte Univ.-Prof. Dr. Georg Lienbacher (Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt) an, dass seiner Ansicht nach die meisten Probleme im Vollzug zu finden seien. Mag. Markus Seidl (Geschäftsführer der österreichischen Raumordnungskonferenz) wies darauf hin, dass viele Steuerungsmechanismen von außerhalb der Rechtsordnung kämen, so etwa durch den Finanzausgleich zwischen den Gebietskörperschaften. Dr. Astrid Kratschmann, Leiterin der Abteilung „Wohnbau CEE, Recht und Öffentlichkeitsarbeit“ der S-Bausparkasse, bereicherte schließlich die Diskussion mit Fakten aus der Immobilienfinanzierung aus Perspektive der Banken. Sie führte aus, dass mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung in Einfamilienhäusern lebe, im Burgenland sogar etwa 80 %. Die Kredite für Wohnraum seien nach Kratschmann auch volkswirtschaftlich zu begrüßen, da das eigene Haus die Eigeninitiative vermehrt fördert und damit energiesparendes Wohnen und Renovierungen begünstigt. Der Bürgermeister von St. Wolfgang und Bundesrat Johannes Peinsteiner rundete die Diskussion mit einem Einblick in seine praktische Tätigkeit im Rahmen von Raumordnungsfragen ab.

 

Den Nachmittagsvortrag am Donnerstag hielt Univ.-Prof. Dipl.Ing. Dr. Arnulf Grübler, Mitglied des International Panel on Climate Change (IPCC), Wissenschafter am International Institute for Applied System Analysis (IIASA) und Professor an der School of Forestry and Enviromental Studies der Yale University.

Unter dem Thema „Transformationen der Energiesysteme im Lichte des Klimawandels“ behandelte er vielfältige Fragen im Zusammenhang mit der kommenden Erderwärmung.

Als ein Faktum hielt Prof. Grübler fest, dass der Klimawandel jedenfalls nicht mehr aufzuhalten sei. Dies ist ein Resultat der unzureichenden Maßnahmen gegen die Schadstoffproduktion innerhalb der letzten zwanzig Jahre. Selbst wenn die Emissionen ab nun auf 0 reduziert werden würden, könne mit einer Erwärmung um 1,5 Grad im Jahr gerechnet werden. Bei Beibehaltung von Emissionsausscheidungen in den Luftraum müsse man mit einer Erwärmung bis zu 7,5 Grad rechnen. Gerade die Erkenntnisse der neuesten wissenschaftlichen Literatur haben nach Grübler gezeigt, dass die Klimaentwicklung noch dramatischer sein wird als bisher angenommen. So werden wohl, sollte es nicht zu drastischen Folgen der Klimaveränderung kommen, „irgendwann die Kohlenstoffausscheidung, ja Emissionen gänzlich verbannt werden müssen.“ Dies betreffe auch die Entwicklungsländer.

Die in Entwicklungsländern lebenden Menschen können nach Grübler überhaupt als die Hauptbetroffenen der bereits um 0,8 Grad im Jahr eingetretenen Klimaerwärmung gesehen werden. Aber auch der Kapitalstock an den reichen Küstenstädten werde nach den durchgeführten Studien massiv betroffen sein.

Das von den EG angestrebte Ziel der Begrenzung der Erwärmung auf 2 Grad, welches ein politisches, auf Kompromissen aufbauendes Ziel sei, könne dann mit einer 1/3 Chance erreicht werden, wenn bis spätestens 2080 weltweit Null-Emissionen im Energiesektor verwirklicht seien. Bei kurzlebigen Technologien, so wie beispielsweise Kraftfahrzeugen, könne freilich länger gewartet werden, um die Emissionen auf Null zu reduzieren, nicht aber bei den langfristigen.

Als wichtige Erkenntnis kann aus Grüblers Vortrag mitgenommen werden, dass zur Abwendung der drastischen Folgen der Erderwärmung der „Bereich der reinen Klimapolitik verlassen werden muss“. So sei noch viel Aufklärungsarbeit im Feld der Effizienzsteigerung in Haushalten und der Ernährungsgewohnheiten zu leisten.

In erneuerbare Energien sollte nach Grübler vorrangig und mehr investiert werden als in die Entwicklung von Kernenergie. Auch mit den weiteren Vorschlägen zur Emissionsbeschränkung beschäftigte sich der Vortrag Grüblers. Das Modell des Carbon Capture and Storage ist durch seine ihm innewohnende Gefahr belastet, dass der Kohlenstoff austreten könnte. Denn die hätte zur Folge, dass sich ein riesiger See bilden würde, in welchem alle Lebewesen erstickten. Der Umstieg auf Biomasse hingegen würde extreme Veränderungen in der Landwirtschaft nach sich ziehen. Der Umstand, dass C2 für die Bauern wichtig sei, würde die Biomasse verteuern. Als weitere Alternativen nannte Prof. Grübler die Möglichkeit von Energiegewinnung durch Solartechnologie in der Wüste, wofür allerdings Wasser nötig wäre und die Leitung von Schwefel in die Stratosphäre, welche den Himmel allerdings statt in himmelblau in grau-gelb zeigen würde.

Die weitere Entwicklung bleibt jedenfalls spannend, denn als nächster Fixpunkt im Bereich der Klimadiskussion ist im Dezember 2009 in Kopenhagen eine weitere internationale Konferenz zur Frage der Reduktion von Emissionen geplant. Im Anschluss an Kyoto soll dort auch die wichtige Frage diskutiert werden, in wie fern und auf welche Art die Entwicklungsländer in die Emissionsreduktion einzubeziehen sein werden.

 

Univ.-Prof. Dr. Robert Rebhahn eröffnete den zweiten Tag des Diskurses mit seinem Vortrag zum Thema „Wandel im Gesundheitssystem – ideal und real“.

Er kritisierte die mangelnde Transparenz in der Bewertung des österreichischen Gesundheitssystems. Während in anderen Staaten objektive und öffentlich einsehbare Daten über die Leistungen der Krankenhäuser existieren, fehlen in Österreich Informationsquellen für Patienten, um sich über die medizinischen Leistungen in Spitälern genauer informieren zu können.

Weiters gibt es nach Rebhahns Ausführungen zu hohe Ausgaben im Gesundheitsbereich. Diese seien zurückzuführen auf den hohen Anteil stationärer Behandlungen und schlechte Koordination zwischen stationärem und ambulantem Bereich. Strukturprobleme seien der Grund für die Reformbedürftigkeit des Gesundheitswesens, wie etwa die „Defensivmedizin“, der übersteigerte Umsatzdrang und das Fehlen nationaler Gesundheitsziele in Österreich. Als Eckpunkte für ein Reformprogramm nannte Rebhahn unter anderem umfassende Informationsmöglichkeiten über die Leistungen der Gesundheitsinstitutionen, eine staatliche Vorsorge für wesentliche Leistungen und die Schaffung eines Wettbewerbes auf Seiten der Leistungsanbieter.

In der Diskussion sprachen anschließend Dr. Helmut Ivansits (Leiter der Abteilung Sozialversicherungen der AK Wien), welcher feststellte, dass es an Qualitäts- und Pflegeberichten über die Spitäler fehle und Dr. Jan Oliver Huber (Generalsekretär Pharmig), welcher sich für ein solidarisches Sozialversicherungssystem aussprach. Auch die pharmazeutische Industrie habe nach Huber ein Interesse am Erhalt der Leistungsfähigkeit des Systems. Des weiteren führte Dr. Martin Gleitsmann als Abteilungsleiter der WKO (Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheitswesen) als Podiumsgast aus, dass das Kernproblem in der dualen Finanzierung durch Bund und Länder liege.

 

Am Freitagnachmittag befasste sich der an der Universität Hannover und in Wien lehrende Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgó mit Fragen des Datenschutzes im elektronischen Umfeld. Sein Thema war „Einatmen. Ausatmen. Vom Schutz der Intimität im elektrischen Zeitalter“. Er berichtete von der Einführung der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA), welche 2005 eingeführt werden sollte, aber bis dato noch der juristischen Umsetzung und der Klärung der Datenschutzproblematik harrt. Forgó wies darauf hin, dass ganz allgemein im Recht des Datenschutzes diverse Unklarheiten bestehen, so etwa habe die Richtlinie 95/46/EG den Begriff der „personenbezogenen Daten“ geschaffen. In österreichischen DSG 2000 wird wiederum zwischen direkten und indirekten personenbezogenen Daten unterschieden. Im Bereich des Datenschutzes wird deutlich, dass im elektronischen Bereich, welcher sich als technisch komplex ausgestaltet herausstellt, die Techniker den Ton angeben. Ob diese Entwicklung hin zu einem Recht ohne Juristen, ohne rechtswissenschaftliche und gesamtgesellschaftliche Begleitung sinnvoll ist, kann nach Forgó jedenfalls bezweifelt werden.

 

Den Abschlussvortrag hielt Univ.-Prof. Dr. Sylvia Kritzinger, Leiterin des Fakultätszentrums für Methoden der Sozialwissenschaften an der Universität Wien zum Thema „Innovation und Governance: der Einfluss von Interessenten“. Sie warf zahlreiche Fragen im Zusammenhang mit Policy Prozessen auf, etwa ob ihnen eine inhärente Logik innewohne, ob diese Logik zu bestimmten Ergebnissen führt und ob sie die Umsetzungsimplementierung der Ergebnisse von Policy Prozessen steuert. Am Beispiel der rezenten universitätspolitischen Reformen, wie etwa die Umstellung auf das Bologna System (die die Einführung von Bachelor-, Master- und PhD-Studium mit sich bringt) zeigte sie das Zusammenwirken von staatlichen und privaten Akteuren.

In der anschließenden Diskussion sprach der Rektor der Universität Wien, Univ.-Prof. Dr. Georg Winckler über seine eigene Wahrnehmung der von Kritzinger theoretisch erfassten Veränderungsprozesse im Bereich der Hochschulorganisation und regte eine „Dynamisierung“ des Modells an. Als weiterer Podiumsdiskutant gab Dr. Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts- Forschungs- und Technologiefonds einen prägnanten Überblick über die Geschichte der Forschungspolitik und -förderung in Österreich.

 

Abgerundet wurde das Programm des diesjährigen Sommerdiskurses durch ein Kammerkonzert von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker und eine Lesung der Schriftstellerin Anna Mitgutsch. Nicht zuletzt trug die bildschöne Kulisse des Wolfgangsees mit der Möglichkeit des informellen Gedankenaustausches ihr Übriges zum großen Erfolg des Diskurses bei.

 

 

Mag. Heidemarie Mendel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Wien und Teilnehmerin des Sommerdiskurses 2009

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